Auto-OEMs vs. Energieversorger - wer gewinnt das Rennen um das Laden von E-Fahrzeugen?

 

Elektromobilität führt zur Verschmelzung zweier Branchen

Eine dualistische Betrachtung möglicher Szenarien in drei Akten

Akt II / III – Lesezeit 6 Minuten
Autor:
Sebastian Crusius

 
 
 

Einführung

Die Substitution des Verbrennungsmotors durch den elektrischen Antriebsstrang erschüttert nicht nur den automobilen Wettbewerb. Sie lässt zwei Branchen verschmelzen, die in den letzten 100 Jahren nicht allzu viele Berührungspunkte hatten. Beschleunigt durch "die Digitalisierung von allem" geht das Rennen um alle energiebezogenen Dienstleistungen rund um das Elektrofahrzeug weiter - mit dem Laden an vorderster Front.

In diesem Artikel wird über zwei mögliche Szenarien der Frage nachgedacht, wer im aufkommenden Wettbewerb zwischen Autoherstellern und Energieunternehmen in diesem jungen Bereich die Oberhand behalten wird. Als Ergebnis wollen wir Ihnen einige Impulse geben, wie Sie Ihre Karten ausspielen können, um als Gewinner hervorzugehen.

Die Analyse ist in drei Teile gegliedert, die separat veröffentlicht werden, wobei der dritte ein Webcast ist, in dem wir Gäste aus beiden Branchen haben werden.


Struktur

TEIL I

5 Gründe warum Auto-OEMs als “vertikale Integratoren” den Ladeinfrastrukturmarkt dominieren werden

TEIL II

Wie Energieversorger ihren Kundenzugang nutzen werden, um mit Lade-Services für Elektrofahrzeuge die Kontrolle über den Markt zu erhalten

TEIL III

Live-Webinar am 19.November - 11 Uhr: Expert Panel: Auto-OEMs vs. Energieversorger


Teil I

Das Volkswagen Szenario

Quelle: Volkswagen Newsroom

Quelle: Volkswagen Newsroom

 

1. Nach “Dieselgate” setzt der größte Autohersteller der Welt alles auf die Elektrifizierung - und dabei stellt der Verkauf von Fahrzeugen für den Hersteller nicht allein das oberstes Ziel dar

Laut Volkswagen ist die Elektromobilität die einzige Möglichkeit, die Klimaziele zu erreichen. Dr. Herbert Diess, Mitglied des Vorstands des Volkswagen-Konzerns, setzt sich seit seinem Amtsantritt in Wolfsburg für dieses Ziel ein. Da die deutschen Automobilhersteller nicht für halbherzige Maßnahmen bekannt sind, ist zu erwarten, dass der Fokus nicht auf der Hardware von Elektrofahrzeugen verbleibt, sondern sich auf Infrastruktur, Software, Dienstleistungen und damit letztlich auf Energielösungen erstreckt. Dadurch verfolgt Volkswagen mit seiner ID-Serie den “One-Stop-Shop-Ansatz” und bietet seinen zukünftigen Kunden alles aus einer Hand: vom Fahrzeug über Leasing, Finanzierung, Wallboxen, Installations-Dienstleistungen bis hin zum Ladestrom-Vertrag.

Weniger Auto und mehr Energie-Ökosystem ist auch die Vision des Elektroauto-Pioniers Tesla. Tesla hat die Verbindung zwischen dem PV-System und dem Speicher für Zuhause bereits seit einiger Zeit in seinem Portfolio und wird mit seinem "Autobidder"-System in Zukunft eine Handelsplattform für Strom entwickeln. Damit wird der kalifornische Autohersteller zum Stromhändler und kann selbst Preise und Stromnachfrage vorhersagen.      


2. Weitere Fehltritte sind nicht zu erwarten: Das Top-Management konnte in früheren Positionen vor allem bei BMW umfangreiche Erfahrungen für den Rollout der Elektroautos und Energieserivces sammeln


Die heutige Führungsspitze von Volkswagen kennt die Elektromobilität aus der Sicht eines Automobilherstellers und ihre Erfolgsfaktoren: Vom Vorstandsvorsitzenden des Volkswagen-Konzerns, Herbert Diess, über das neue Audi-Vorstandsmitglied Markus Duesmann bis hin zu Emobility Managern wie Thorsten Nicklass und Martin Römheld gibt es einen breiten Erfahrungsschatz im Wolfsburger Topmanagement. Da die Volkswagen-Manager vor allem während ihrer Zeit beim Wettbewerber BMW zahlreiche Do's and Dont's erlebt haben, sind im heutigen, deutlich reiferen Elektromobilitätsmarkt weniger Fehltritte zu erwarten. Auch wenn es für die gesamte Gruppe aus Niedersachsen eine der größten Herausforderungen bleibt, vom verstaubten Hardware-Geschäft wesentliche Bereiche der neuen Wertschöpfung durchzudringen, in dem die wesentlichen Erfolgstreiber Software und Services sind.

Quelle: Volkswagen Newsroom

Quelle: Volkswagen Newsroom

 

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3. Das Rahmenwerk der SAVE-Strategie wird angewandt: Volkswagen We & Energie-Ökosystem (Solution) + Zugang zu (in)direkten Vertriebskanälen (Access) + Attraktive Produktbündel und Preise (Value) + Emotionale und digitale Kommunikation (Education)    

Solution: Mit der jüngeren Marke "We" hat Volkswagen bereits ein digitales Ökosystem mit zahlreichen Lösungen eingeführt. Die damit verbundenen Angebote wie "We Park", "We Share" und "We Charge" lösen die heutigen Alltagsprobleme wie das bargeldlose Parken, das Teilen mit Elektrofahrzeugen und den digitalen Zugang zu Ladestationen in Europa. Auf der Grundlage dieses Portfolios fügen sich neue Energiedienstleistungen wie die Installation einer Ladestation gut in die Energieversorgung von Privatkunden zu Hause ein. Daher werden Services angeboten, die vor allem durch wiederkehrende Umsätze eine längerfristige Kundenbindung entstehen lassen.

Access: Im Mai 2020 unterzeichneten die VW-Händler in Deutschland das neue Agenturmodell für den Vertrieb der ID-Familie. Dies ist eine Reaktion auf die zunehmende Komplexität des Verkaufs von Elektrofahrzeugen und die zusätzlichen Angebote wie Wallboxen oder Stromverträge. Schließlich dürften die traditionellen Autohändler durch den Wallbox-Verkauf eher "herausgefordert" (in einigen Fällen vielleicht sogar überfordert) werden, sodass Volkswagen bereits heute über einen eigenen Online-Shop für die Produkte im Bereich der Ladeinfrastruktur geht, anstelle in diesem Feld ausschließlich auf den regionalen Handel zu setzen. 

Quelle: Volkswagen Newsroom

Quelle: Volkswagen Newsroom

Value: Zur Versorgung der Privathaushalte mit Strom wird bereits das Volkswagen-eigene Naturstromangebot angeboten. Dieses Angebot wird jedoch bei den Produktbündeln noch interessanter sein, da im Fahrzeugpreis kostenlose oder reduzierte Preise für die Kilowattstunde angeboten werden. Dies dürfte einige Elektrofahrzeugkunden motivieren, ihre private Stromversorgung auf den Ökostrom des Wolfsburger Unternehmens umzustellen. Auch der Blick auf das Automobilzubehör offenbart eine Preis: Während Wallboxen als private Ladestationen für Elektrofahrzeuge in den letzten Jahren nur geringfügig im Preis gesunken sind, haben sich Marktpreise von rund 580 € für Einstiegsvarianten entwickelt. Mit einem Preis von 399 € hebt VW das Preisniveau auf ein völlig neues Niveau an und gibt Elektroinstallateuren und Energieversorgern eine klare Ansage über den künftigen Hardware-Hersteller in diesem Segment.

Education: In der Ästhetik unterscheiden sich die Wallboxen zum Aufladen von Elektrofahrzeugen leicht, die Stromprodukte jedoch nicht. Ein Auto hingegen weckt nicht nur Emotionen, sondern auch Erinnerungen und steht für viele Menschen für Freiheit in der Mobilität. Die Volkswagen Markenwelt rund um die ID.3-Markteinführung und die Elektrifizierung des Konzerns setzt bereits heute auf emotionale Kommunikation. Hier können wir von CMO Jochen Sengpiehl viel erwarten. Und das VW-Sponsoring der deutschen Fußballnationalmannschaft und die Partnerschaft zwischen Audi und dem FC Bayern München scheinen erst der Anfang für den kommunikativen Boost zur Elektrifizierung zu sein.        


4. Der Verkauf von Stromprodukten und Energiedienstleistungen ist deutlich einfacher als die Herstellung von Autos. Und die Autohersteller besitzen den allerersten Kundenkontaktpunkt zu Fahrerinnen und Fahrern

Sie sind umweltfreundlich, zertifiziert und unterscheiden sich meistens in ihren einmaligen und laufenden Kosten oder, in einigen Fällen, in Wechselprämien. Ansonsten machen unterschiedliche Logos und Preise die Stromverträge für die Versorgung zuhause recht einfach zu vergleichen. Viele Energieversorger haben dies in den letzten Jahren bereits schmerzlich erfahren müssen, als ihre Kunden zu neuen Akteuren mit starken Marken abwanderten.

Heute verkaufen sogar Discounter wie ALDI und LIDL ihre eigenen Stromprodukte, genauso wie sie Handyverträge verkaufen. Das macht deutlich, dass diese Produkte, die als Commodities bezeichnet werden, auch vom Autohersteller problemlos online verkauft werden können. Zusammen mit Wallboxen und attraktiven Finanzierungsangeboten gibt es wahrscheinlich in Zukunft viele Gründe für Verbraucher, auf ein Elektrofahrzeug umzusteigen, und damit eine grüne Stromversorgung zuhause und unterwegs zu erhalten.

Wir müssen jedoch der Tatsache ins Auge sehen, dass es bislang keinen Beweis dafür gibt, dass die Autohersteller in der Lage sind, eines ihrer Kernassets zu monetarisieren: den Erstkontakt mit dem Fahrer beim Verkauf des Autos. Das sogenannte "Single-Sign-On"-Ökosystem - die Idee, ein vollständiges Portfolio verwandter Dienstleistungen und Produkte anzubieten, die mit einem Konto oder Auto verbunden sind - wird schon seit langem als ein erfolgskritisches Puzzleteil der Automobilhersteller betrachtet. Aber dies könnte der Zeitpunkt und die Chance für Autohersteller und Händle sein um zu beweisen, dass sie ihre Lektionen nach vielen Fehlschlägen in der Vergangenheit gelernt haben.

 

5. Ganzheitliche Betrachtung der wesentlichen Teile der Wertschöpfungsketten für die Elektromobilität und die zentrale Anlaufstelle für die Mobilität der Zukunft 

Während viele Stadtwerke und Energieversorger noch monatelang die Anfangskosten für "Bürgermeister-Ladepunkte" berechnen, hat Volkswagen in den letzten Jahren in Akteure mit einem ganzheitlichen Ansatz zur Elektromobilität investiert. Sie gründeten das Joint Venture IONITY, investierten in den Marktführer für die Interoperabilität an Ladestationen Hubject, das Emobility IT-Startup has.to.be, die Stuttgarter Digitalagentur Diconium und unterzeichneten kürzlich einen Kooperationsvertrag mit Ford, um Milliarden an Entwicklungskosten für Elektromobilität und autonomes Fahren einzusparen. Darüber hinaus investiert Volkswagen Milliarden in das US-Technologieunternehmen Argo AI, an dem Ford bereits Anteile und Entwicklungsanteile hält.  

Quelle: Volkswagen Newsroom

Quelle: Volkswagen Newsroom

Neben diesen massiven Investitionen arbeitet der Volkswagen Konzern nun deutlich verstärkt an Konzepten und Lösungen für alle Konzernmarken, um die Volumenvorteile des zweitgrößten Automobilherstellers der Welt und zukünftigen “Mobilitäts-Schwergewicht” besser nutzen zu können. Auf jeden Fall ist der Konzern mit seinem ganzheitlichen Portfolio auch im Dienstleistungsbereich (Elektro-)Mobilität bestens aufgestellt: Für das öffentliche Laden hat Volkswagen unter der Marke We Charge eine App entwickelt, mit der an über 150.000 öffentlichen Ladepunkten in Europa geladen werden kann, vergleichbar mit Angeboten von Plugsurfing, ChargeNow, Shell Recharge und anderen. Für das Aufladen zu Hause können die Wallbox- und Installations Angebote bereits seit Juni 2020 digital bestellt werden. In Verbindung mit neuen Miet-, Park- und Shuttle-Angeboten wie We Park, We Share, LEASH und MOIA steht einer klimafreundlichen Gesamtmobilität mit Volkswagen als "Single Point of Contact" auf der Anbieterseite nichts mehr im Wege. Dann liegt der Ball bei der Generation Golf, um diese Angebote im Alltag wirklich zu nutzen.    

 
 
 
 
 

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